Nicht ahnend, welch kurioser Fall mich erwartete, erreichte ich Degerloch. Herr Pfahl hockte mehr tot als lebendig in seinem Porsche. Der Anblick der Leiche musste entsetzlich gewesen sein. „Da im Haus. Alles ist voller Blut.“

„Ein toller Wagen“, lenkte ich ab.

„Danke, ich zahle noch Raten.“

Es funktionierte, er lächelte leicht, warf etwas Goldenes ins Auto und führte mich hinein.

Es roch nach Chlor. Neben der Tür hing ein Reinigungsplan. Am Name Buhmann war herumradiert worden. Daneben klebte eine Anzeige: Verkaufe Wohnung. Beste Lage. Melden bei Pfahl.

Von Gepolter aufgeschreckt, spähte ich ins Treppenhaus. Zitronenduft schoss mir entgegen. Eine alte Frau kniete neben der Leiche und putzte ihr den Hals. „Sind sie verrückt? Weg da!“

Erschrocken sah sie mich an. „Sin’ Sie der Polizischt?“

Ich trat auf sie zu.

„Vorsicht, isch noch nass!“

Boden und Wände glitzerten wie in der Meister-Propper-Werbung.

„Sie habe koi Ahnung, wie’ s hier ausgsehe’ hat. Überall Blut. So kann man des doch net lasse, wenn fremde Leut’ ins Haus neikomme.“ Sie nahm ein Tuch aus ihrem Putzkittel und tupfte sich die Stirn. „Fleischer, mei Wohnung isch die hier im Erdgschoss.“

Ich war sprachlos. Dieser Oma war es gelungen, in wenigen Minuten alle Spuren zu beseitigen. Sie winkte mich zur Leiche. Die aufgeschnittene Kehle klaffte sauber ausgewischt auseinander.

„Bis uff d’ Wirbelsäule nunter hat der Mörder gschnitte.“ Die Alte putzte sich Blut von den Händen. „Was für ein Verluscht. Seit Frau Färber die Kehrwoch’ organisiert hat, habe mir drei Mal die goldene Hausnummer g’wonne. Für des sauberschte Haus in ganz Degerloch.“

Zwei Männer, einer mit aufgestelltem blondem Haar und ein kurz rasierter, tätowierter Muskelbulle, steckten ihre Köpfe aus der Wohnung in der ersten Etage. Buhmann stand auf der Tür. „Was ist denn…“ Der Blonde beendete seinen Satz mit einem hysterischen Schrei, als er die tote Frau Färber erblickte. Er stützte sich an der Schuhkommode vor Pfahls Wohnung. Sie verrutschte und gab den Blick auf einen Schimmelfleck frei. Schimmel? In diesem sauberen Haus? Apropos sauber: Buhmann, der Name vom Putzplan! „Entschuldigen Sie“, fragte ich, „warum wurde auf dem Putzplan an ihrem Namen herumradiert?“

„Wer sind Sie?“

Ich zog meinen Dienstausweis. Der Blonde hyperventilierte vor Schreck. Sein Freund antwortete stellvertretend. „Fredibär hat sich für den European Hairdressing Championchip in Wien qualifiziert.“

Plötzlich war Fredibär hellwach. „Sei still Axel!“

„Zier dich doch nicht so.“

„Hairdressing?“, fragte ich.

„Die Europäische Friseurmeisterschaft“, antwortete Fredibär. „Leider wurden wir genau zu diesem Termin für die Kehrwoche eingeplant. Und Frau Färber war gegen einen Tausch.“

„Jetzt nicht mehr“, grinste der Muskelbulle.

Fredibär reagierte auf Axels Kommentar mit einer tiefen Ohnmacht. Mir fiel die Friseurtasche auf, die er um die Hüfte trug, bestückt mit Schere, Kamm und Rasiermesser. Scharf genug für einen Kehlenschnitt?

„Hilfe! Mein Freund hat einen Schwächeanfall“, riss mich Axel aus meinen Gedanken. Ich fühlte Bärchens Puls und bat Frau Fleischer für Frischluft zu sorgen.

„Geht net.“ Die Alte deutete auf die Fenster. An allen fehlten die Griffe.

„Weil jemand ständig alle Fenschter im Treppehaus ankippt hat, sind unsere Heizkoschte enorm in ‘d Höh gschosse. Frau Färber hat die Griffe abgmacht und nur oimol im Monat für den Fenschterputz nausgebbe. Seitdem sind unsere Heizkoschte’ wieder um fünfzehn Prozent g’sunke.“

„Und jetzt droht mein Bärchen zu ersticken. Also tun sie was!“

Der blonde Friseur rollte die Augen nach hinten und sabberte theatralisch. Panisch klopfte die Putzoma die Kitteltaschen der Toten ab. Was verdammt nochmal wird hier gespielt? „Was machen Sie da?“

Auch Pfahl wurde sichtlich nervöser.

„D’Frau Färber hat den goldenen Griff immer bei sich g’habt. Aber ich finde’ n net.“

Pfahl riss spontan die Haustür auf und verkeilte sie. Endlich Frischluft. Fredibär erholte sich.

„Herr Kommissar“, sagte Axel aufgeregt, „Wenn Frau Färber den Griff nicht mehr hat, dann…“

Fredibär schoss in die Höhe und rief: „…dann muss der Mörder ihn haben!“

Richtig. Mir fiel das goldene Ding wieder ein, das Pfahl in den Porsche geworfen hatte. „Sie haben den Fenstergriff?“

Pfahl stand käseweiß in der Tür und stotterte. „Aber deswegen bringe ich doch niemanden um.“

Er hatte recht. Meine Augen brannten vom Chlor. Ich griff nach einem Taschentuch gegen die Tränen. Da machte es klick. Chlor. Natürlich. Der Schimmelfleck hinter der Kommode. Deswegen der penetrante Chlorgeruch. Schimmelentferner! „Sie hatten Probleme mit Schimmel, nicht wahr?“

Pfahl schüttelte den Kopf.

„Nicht weitererzählen, Herr Kommissar“, flehte Fredibär.

„Und weil Frau Färber sich weigerte, das Fenster angeklappt zu lassen, was gegen den Schimmel hätte helfen können, hatten Sie Angst um den Verkaufswert ihrer Wohnung. Sie müssen doch ihren Porsche abbezahlen. Sie haben ihr die Kehle durchgeschnitten, um in den Besitz des Fenstergriffes zu kommen.“

Blitzschnell drehte Pfahl sich um, sprang in seinen Porsche und warf den Motor an. „Halt!“ Allesamt stürzten wir hinterher. Zu spät, mit quietschenden Reifen fuhr er los. Noch bevor ich reagieren konnte, zog Fredibär die Haarschere aus seiner Friseurtasche und schleuderte sie mit einem asiatischen Kung Fu-Schrei in den rechten Vorderreifen. Ein Knall. Der Wagen brach aus und krachte in eine Laterne. Bewusstlos hing Pfahl im Airbag. „European Hairdresser – ich komme“, jubelte Bärchen. Ich stürzte zum Wagen und legte Pfahl Handschellen an.